Vom Bezirksamt Berlin-Pankow geduldet: Neonazis trainieren hinter der Grundschule – und Behörden schauen zu

Neonazis vom „Dritten Weg“ trainieren wöchentlich auf einem Sportkomplex in Berlin-Weißensee. Polizei und Bezirksamt wissen davon – und lassen sie gewähren.

Selbst an sonnigen Tagen ist es oft leer am Sportkomplex Rennbahnstraße. Fußballplätze, eine Bogenschießanlage und einen kaum genutzten Skatepark gibt es auf dem weitläufigen Gelände. Gleich daneben steht die erst im Februar eröffnete 49. Pankower Grundschule. Es ist eine karge Umgebung, kein Ort zum Verweilen – es sei denn, man will ungestört bleiben.

In einer kleinen Halle auf dem Sportkomplex trainieren bekannte Neonazis regelmäßig mit jungen Männern Kraftsport. Das belegen wochenlange Recherchen, der Tagesspiegel wertete umfangreiches Foto- und Videomaterial aus. Demnach sind bei den Trainings Kader der militanten Neonazipartei „Der Dritte Weg“ und ihrer Nachwuchsgruppe „Nationalrevolutionäre Jugend“ (NRJ) dabei.

Es ist jene Gruppe, die in den vergangenen Wochen durch brutale Machtdemonstrationen aufgefallen ist. Zweimal pro Woche treffen sich die Neonazis in der Halle, die laut Bezirksamt Pankow auf Kraftsport ausgerichtet ist.
Es handelt sich um eine mehr oder minder feste Gruppe von 15 bis 20 Personen, sie nutzen die Trainingsräume seit spätestens Oktober 2023 regelmäßig. Darunter sind bekannte Rechtsextremisten, die schon bei Aufmärschen und öffentlichen Kampfsport-Trainings beobachtet wurden. Einige von ihnen erscheinen mit szenetypischer Kleidung und Sportmarken zu den Trainings.

„Kraftsport und Aerobic“ für Neonazis?

Seit Monaten tritt „Der Dritte Weg“ in Berlin immer offensiver auf: Parteimitglieder stellen sich in Sturmhauben vor Jugendzentren, greifen Versammlungen an. Und sie trainieren seit 2023 in Parteiuniform Kampfsport, etwa im Pankower Kissingenstadion oder in öffentlichen Parks. Sie haben Messer und andere Waffen dabei – wie vor einer Woche im Stadtpark Lichtenberg, als die Polizei eingeschritten ist.
Sie trainieren mit Kraft- und Kampfsport für den gewaltsamen Kampf gegen politische Gegner. Die NRJ, ideologisch angelehnt an die Hitlerjugend, sieht sich als „junge Kampfgemeinschaft“, ihre Mitglieder kämpfen „lieber mit dem Feind um die Straße als um Parlamentsposten“.

Dazu passt eine brutale Attacke von Parteianhängern am 13. Juli: 15 Vermummte sollen am Ostkreuz Personen angriffen haben, die zu einer Demonstration gegen Rechts anreisten. Zwei Personen mussten ins Krankenhaus, auch eine Polizistin wurde verletzt: Neonazis schlugen ihr ins Gesicht. Vor wenigen Tagen durchsuchte die Polizei die Wohnungen von neun verdächtigen Neonazis in Berlin, Brandenburg und Sachsen.
Das Berliner Register, das rechtsextreme Vorfälle dokumentiert, ordnet allein in diesem Jahr 27 Vorfälle der NRJ zu. „Kraft- und Kampfsport sind für Neonazis wesentlicher Teil der eigenen Praxis, Identität und Selbstinszenierung“, sagt ein Mitarbeiter der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR). In der NS-Ideologie sei das Ideal des gestählten Mannes, der rücksichtslos für Nation und „Rasse“ kämpft, tief verankert. Der Kampfsport diene dazu, Jugendliche zu ködern.

Offenbar mit Erfolg: An der Rennbahn trainieren mehrere junge Männer, die bislang nicht auf Neonazi-Aufmärschen aufgefallen sind, mit altgedienten Kadern. Hinzu kommt aber: Bislang trafen sich die Neonazis auf Flächen, die frei zugänglich sind. An der Rennbahn nutzen sie eine Halle, die vom Bezirk Pankow verwaltet wird – also von staatlicher Stelle.
Laut Schul- und Sportamt Pankow nutzt der Verein TSC Preußen 97 die Halle, ein ehemaliges Radlager, seit 2005. Der Verein scheut die Öffentlichkeit: keine Internetpräsenz, keine Social-Media-Accounts, eine Telefonnummer ist nicht zu finden. Zweck des 1997 gegründeten Vereins ist laut Satzung die Förderung von „Kraftsport und Aerobic“.

Bezirksamt hat Neonazis in Halle verwiesen

Auch das Platzpersonal weiß offenbar nicht viel über den Verein. Die einzige Möglichkeit, Kontakt aufzunehmen, sei in den Trainingszeiten: Einfach Manfred R., den Vereinschef, ein älterer Herr, der noch trainiert, ansprechen. Der Tagesspiegel fand ihn, doch er sagte, er habe mit dem TSC Preußen nichts zu tun. Auf die Frage, ob er Manfred R. sei, winkte er ab und ging in die Halle.
Nach Tagesspiegel-Recherchen pflegt der Mann einen freundschaftlichen Umgang mit den rechtsextremen Sparringspartnern und trainierte auch mit ihnen: Fotos aus dem Jahr 2021 zeigen ihn beim Boxtraining auf dem benachbarten Fußballplatz mit teils denselben Neonazis, die heute noch in der Halle dabei sind. Rechtsextreme sollen damals „sporadisch“ auf der Anlage trainiert haben, erklärte die Senatsinnenverwaltung 2022 auf eine Linken-Parlamentsanfrage.

Umtriebige Neonazis und „Survival-Trainer“

Acht bekannte Neonazis aus Berlin und Brandenburg konnten auf Foto- und Videomaterial bei den Trainings identifiziert werden. Insgesamt elf Zusammenkünfte seit Oktober 2023. Zur Neonazi-Sportgruppe an der Rennbahnstraße gehört etwa Christian Sch., früher Landeschef des NPD-Nachwuchses „Junge Nationalisten“ und Parteichef in Pankow.
Häufig dabei ist auch ein Survival-Trainer und Ex-NPD-Kader. Für das jüngst verbotene „Compact“-Magazin verfasste er Beiträge über das Überleben in der Wildnis.
Ebenfalls bei fast allen öffentlich gewordenen Kampfsporttrainings dabei ist der umtriebige Neonazi Erik S. Der 21-Jährige wurde mehrfach mit Angriffen auf politische Gegner auffällig.

Als Reaktion verwies das Bezirksamt den Verein damals zurück in die Halle: „Es wurde dem Platzpersonal mitgeteilt, dass der Sportbetrieb eines Vereins nur im Kraftraum durchgeführt werden darf“, sagt der heute zuständige Bezirksstadtrat Jörn Pasternack (CDU). Seitdem gebe es „regelmäßige unangemeldete Kontrollen des Kraftraumes“ durch das Platzpersonal. „Alle Mitglieder sind unauffällig während des Sportbetriebes, ein Zeigen verfassungswidriger Symbole wurde bisher nicht festgestellt“, sagt Pasternack.
„Wer Neonazis solche Trainings ermöglicht, unterstützt sie indirekt“, sagt der MBR-Mitarbeiter. Ohne solche Räume könne der „Dritte Weg“ auf Dauer kaum Außenwirkung entfalten. „Nicht zuletzt bereiten sich die Mitglieder der Partei durch solche Trainings auch auf die gewaltsame Konfrontation mit den von ihnen zu Feinden erklärten Menschen vor“, sagt der MBR-Mitarbeiter.
Auch die Polizei weiß von den Neonazi-Trainings an der Rennbahnstraße, erklärt aber: „Von legalen Sportaktivitäten – auch von Kampfsporttrainings – auf öffentlich nutzbaren Sportanlagen gehen im Allgemeinen keine Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus.“ Kampfsport sei aber Teil der rechten Subkultur. Daher „werden Kampfsporttrainings aus einer politischen Motivationslage heraus mit großer Sorge betrachtet“, denn sie könnten zu einer verschärften „links-rechts-Auseinandersetzung“ führen, sagte eine Polizeisprecherin.

„Rechtsextremistische Ideologie übelster Sorte“

Auch Michael Fischer, Chef des Verfassungsschutzes, beunruhigt der Auftrieb der Truppe. Deren Mitglieder seien seit 2023 mehrfach in körperlichen Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern verwickelt gewesen. „Junge Leute in erklecklicher Zahl werden an rechtsextremistische Ideologie übelster Sorte herangeführt mit Sport und Kampftraining“, sagte Fischer kürzlich. Eine „solche Zugkraft“ habe keine rechtsextreme Gruppe in den vergangenen Jahren gehabt.

Doch wie bewertet es der Verfassungsschutz, dass Neonazis an der Rennbahn unter staatlicher Aufsicht für ihren Kampf trainieren können? Der Nachrichtdienst verweist auf Anfrage lediglich auf seine Aufgabe, staatliche Stellen über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung zu unterrichten, damit diese in der Lage seien, „rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahren zu ergreifen“. Aber über den Umgang mit den Informationen „entscheiden die jeweiligen Stellen in eigener Zuständigkeit im Rahmen ihrer rechtlichen Möglichkeiten“.

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passiert am 22.07.2024